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Symposium Subjektorientiertes Deuten, Bremen, Juni

Subjektorientiertes Deuten: Kontext und Praxis der ethnografischen Feldforschungssupervision

Termin: Freitag 20.06 und Samstag 21.06.2014
Ort: Gästehaus der Universität Bremen, Teerhof 58

Kooperationspartner:
Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie, Karl-Franzens-Universität Graz Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Institut für Ethnologie und Kulturwissenschaft, Universität Bremen Studiengang Soziale Arbeit, Fakultät 3 Gesellschaftswissenschaften, Hochschule Bremen

Konzept: Arbeitsgruppe Ethnografische Reflexion

Organisation:
PD Dr. Jochen Bonz, Universität Innsbruck Univ. Prof . Dr. Katharina Eisch-Angus, Universität Graz Dr. des Marion Hamm, Universität Graz

Subjektorientiertes Deuten: Kontext und Praxis der ethnografischen Feldforschungssupervision

Was glauben Sie, worin uns Freud und sein Werk heute noch weiterhelfen können?
„Im großen und ganzen ist es seine Art, wie er sich der wirklichen Komplexität des Menschen mit seinen Konflikten und Irrationalitäten annähert. […] Was man versuchen muss, ist, diese Perspektive in mehr empirisch begründete Forschungsmethoden umzusetzen.“ (Marie Jahoda)

Um das in ethnografischen Feldforschungen entstehende Material in seinem Reichtum auszuwerten und dadurch eine weitgehende Annäherung an die Komplexität der Alltagskultur zu erreichen, wurden in der Europäischen Ethnologie in den 90er Jahren selbstreflexives Forschen unterstützende Interpretationsgruppen gegründet: So entstand auf Anregung von Utz Jeggle, nach einem Konzept von Barbara Wittel-Fischer, die Tübinger Supervisionsgruppe für Feldforscher_innen, und in Bremen entwickelte Maya Nadig die Methode der ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt.
Die Einrichtung einer Deutungswerkstatt an der Universität Graz, eine Präsentation der Methode auf der Österreichischen Volkskundetagung in Dornbirn 2013 (Emotional turn?! Kulturwissenschaftlich-volkskundliche Zugänge zu Gefühlen/ Gefühlswelten) und ein Aufsatz in der Zeitschrift für Volkskunde brachten die Methode verstärkt in die Diskussion. Diese Diskussion soll in diesem Workshop aufgegriffen und vertieft werden.
Der Workshop richtet sich an Kulturwissenschaftler_innen, die an selbstreflexiver Forschungspraxis interessiert sind und dazu beitragen möchten, das Methodeninstrument ethnopsychoanalytische Deutungswerkstatt/ Supervisionsgruppe für Feldforscher_innen zu reflektieren und weiterzuentwickeln.
Der Workshop hat zwei Schwerpunkte. (1) In Form von Vorträgen werden konkrete Erfahrungen mit der Methode und mit ihr erzielte Ergebnisse an Beispielen vorgestellt. (2) In Form von offenen Diskussionsrunden werden drängende epistemologische Fragen in drei Themenblöcken erörtert.

Thema 1: Methodische Selbstreflexion im Kontext neoliberaler Wissenschaftskultur – Widerstände und Übereinstimmungen Indem es Freiräume für das Interpretieren schafft, stößt sich das wissenschaftliche Arbeiten in Interpretationsgruppen an der technokratischen, effizienzorientierten neoliberalen Wissenschaftskultur. Auch die zeitgenössische Vorstellung vom selbstsicheren, pragmatisch entscheidenden Subjekt erfährt mit dem irritierbaren Selbst, das ein zentrales epistemologisches Moment der supervisorischen wie auch der Deutungsgruppenmethodik bildet, Widerstände. Die wissenschaftliche Interpretationsgruppenarbeit und der neoliberale Wissenschaftsbetrieb stehen also in einem Konfliktverhältnis zueinander. Aber heißt das auch, dass es für Freiräume des Deutens an der heutigen Universität keinen Platz gibt? Mehr noch: Sind die neoliberale Ideologie und die Epistemologie der Supervision nicht im Aspekt der Reflexion und des Arbeitens am Selbst miteinander verbunden, ja verschiedene Facetten desselben Dispositivs?

Thema 2: Gewichtungen im Forschungsprozess – Zwischen Beziehung-schaffen-zum-Anderen und Hineinhorchen-ins-Selbst Klassische ethnopsychoanalytische Studien interessieren sich für Kulturen bzw. für die Subjekte bestimmter kultureller Verhältnisse (das ,Feld‘). Supervision dient hier dazu, die vom forschenden Subjekt unterhaltenen Beziehungen zu Subjekten des Feldes im Hinblick darauf zu reflektieren, was die jeweilige Beziehung über die untersuchten kulturellen Verhältnisse zum Ausdruck bringt. Diese Reflexionen werden wiederum in die Beziehung eingebracht, die sich daraufhin den kulturellen Verhältnissen entsprechend weiterentwickelt und so zusätzliche und differenziertere ,Daten‘ hervorbringt. Allgemeiner gefasst, wird in diesem Ansatz die Beziehung zum Anderen als Datum verstanden, wobei das Andere auch Ereignisse, Situationen etc. umfassen kann.
Im Kontext jüngster Methodendiskussionen, etwa um den Ansatz der Autoethnografie, und an Feldforschungsnotizen Studierender lässt sich eine Verschiebung erkennen: Weg vom zentralen Stellenwert der Beziehung zum Anderen und hin zu einer Fokussierung der Selbstwahrnehmungen des forschenden Subjekts, einem Hineinhorchen ins Selbst. Wie lässt sich diese Verschiebung begreifen? Wie stellt sie sich in Einzelfällen dar? Ist sie möglicherweise im forschenden Subjekt begründet? Oder ist sie als Aussage über die untersuchten Felder zu begreifen? Was bedeutet die Verschiebung für die Deutungswerkstatt als Methode und für die mit ihr potentiell zu erzielenden Aussagen?

Thema 3: Deutungen – Wer oder was prägt die Interpretation?
Wie die Namen schon zum Ausdruck bringen, dient das Methodeninstrument Supervisions- oder Deutungsgruppe wesentlich dazu, das Gelingen von Feldforschungen dadurch zu unterstützen, dass in der Forschungssituation selbst oder bezüglich des vorliegenden Datenmaterials Orientierungen entstehen. Diese Orientierungen kommen nicht von außen (etwa von Normen wissenschaftlicher Methodik), sondern aus dem Feldforschungsmaterial. Dient die Interpretationsgruppenarbeit doch dazu, latent im Material vorhandenen Aspekten der Feldforschung (und damit: des Feldes) zu einer Artikulation zu verhelfen, die diese dem bewussten Denken zugänglich macht. Zu diesem Zweck äußern Gruppenmitglieder frei ihre von dem eingebrachten Textmaterial ausgelösten Assoziationen und Gefühle. Eine wichtige Voraussetzung dieser Arbeitsweise ist es, die für das akademische Arbeiten typischen, also begrifflichen, argumentativen, diskursbezogenen etc. Diskussionsweisen beiseite zu lassen. Im Verlauf einer Sitzung entsteht so ein assoziatives ,Gewebe‘ (Nadig), das die dem Text inhärenten emotionalen Dynamiken und überhaupt latent im Material enthaltene Aspekte zum Ausdruck bringt und greifbar macht.
Dass diese Artikulationsvorgänge stattfinden und produktiv sind, ist unbestritten. Aber worin bestehen ihre Voraussetzungen? Was schafft und begrenzt den Raum der Deutungen? Oder mit einer kritischen Frage formuliert: Sind die Deutungen nicht abhängig von der milieuspezifischen Zusammensetzung der Gruppe? Erzeugt die Interpretationsgruppenarbeit als ein Instrument bürgerlicher Wissenschaftspraxis nicht zwangsläufig ,bürgerliche‘ Interpretationen?

Erfahrungsberichte und Arbeitsformen

Lydia Arantes (Universität Graz):
Von der Verstrickung der Forscherin zur Verstrickung der Be/Deutungen. Erfahrungsbericht aus der ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt in Graz

Sebastian Kestler-Joosten (Universität Würzburg):
Die interpretative Hybris oder an der Wahrnehmung vorbeiassoziieren

Elisabeth Mauerhofer (Universität Graz):
Über das Auflösen und das Wiederfinden einer Vertrauensbasis im Forschungsfeld. Ein Erfahrungsbericht aus der ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt in Graz

Elisa Rieger (Universität Graz):
Der kleine Prinz und das Nichts? Zum Umgang mit assoziativen Bildern aus Deutungsrunden im Forschungskontext buddhistischer Meditationserfahrung

Ann-Madeleine Tietge (Universität Hannover):
Tiefenhermeneutik als Methode der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung

Anja Wessel-Jorißen (Universität Bremen):
Forschen in der stationären Pflege – Der ethnopsychoanalytische Erkenntnisprozess zur Offenlegung verdrängter Emotionen

Weitere Beiträge von

Dr. Brigitte Becker (PH Ludwigsburg)
Judith Kestler (Universität Würzburg)
Dr. Antje Krueger (Hochschule Bremen)
Prof. Dr. Maya Nadig (Universität Bremen) Andrea Ploder (Universität Graz) Johanna Stadlbauer (Universität Graz) Dr. Almut Sülzle (Berlin)

Programm

Donnerstag, 19.6.2014
19:00 Anreise u. Treffen (Gaststätte Kuss*Rosa, Buntentorsteinweg 143)

Freitag, 20.6.2014
Ab 9:00 Kaffee
10:00 Begrüßung

10:30 – 13:30 Erfahrungsberichte und Arbeitsformen 1 Lydia Arantes Sebastian Kestler-Joosten Anja Wessel

Mittagsimbiss

14:30 – 17:00 Diskussionsrunde 1
Methodische Selbstreflexion im Kontext neoliberaler Wissenschaftskultur – Widerstände und Übereinstimmungen
Moderation: Jochen Bonz
Impuls: Katharina Eisch-Angus, Marion Hamm
Impuls: Judith Kestler, Almut Sülzle

Kaffee

17:30 – 19:00 Abendvortrag
Maya Nadig: Konstruktionen des Anderen aus ethnopsychoanalytischer Sicht

Ab 19:30 gemeinsames Abendessen (Restaurant Am Deich)

Samstag, 21.6.2014
9:00 – 11:30 Diskussionsrunde 2
Gewichtungen im Forschungsprozess – Zwischen Beziehung-schaffen-zum-Anderen und Hineinhorchen-ins-Selbst?
Moderation: A. Sülzle
Impuls: Andrea Ploder, Johanna Stadlbauer
Impuls: J. Bonz

Mittagsimbiss

12:30 – 15:30 Erfahrungsberichte und Arbeitsformen 2 Ann-Madeleine Tietge Elisa Rieger Elisabeth Mauerhofer

Kaffee

16:00 – 18:00 Diskussionsrunde 3
Deutungen – Wer oder was prägt die Interpretation?
Impuls: Brigitte Becker
Moderation: K. Eisch-Angus, M. Hamm

18:00 – 18:30 Schlussrunde

Mitarbeit:
Cornelius Grasmeier, Bremen
M.A. Neele Jargstorf, Bremen

Nähere Informationen und Anmeldung (bitte bis zum 01.06.):
J. Bonz, Tel. 0043 512 507 4436
Email: joachim.bonz@uibk.ac.at

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