Institut für Volkskunde und Kulturwissenschaft der Universität Graz 06.11.2015-07.11.2015, Graz
Bereits gegen Ende der 1970er Jahre wies Michel Foucault auf die Formierung der „Sicherheitsgesellschaft“ hin: Hellsichtig verwies er darauf, wie die historischen Regierungsweisen des Gesetzes und der Disziplin durch die Versprechen von Sicherheit und Freiheit fortgeschrieben, flexibilisierte Mechanismen der Kontrolle und Angsterzeugung alle Bereiche alltäglicher Milieus durchdringen würden.
Foucault beschrieb diese Machttechniken der Sicherheit als historische Effekte des wirtschaftlichen Liberalismus, beobachtete sie jedoch auch in staatlichen Reaktionen auf den Terrorismus. Inzwischen ist „Sicherheit“ aus unterschiedlichen interdisziplinären Blickwinkeln zum Leitbegriff etwa der Gouvernementalitäts- und Securitization-Forschung oder der Anthropologie der Sicherheit geworden. Zugleich bestimmen Begriffe und Konzepte im Themenfeld der „Sicherheit“ spätestens seit 9/11 auch öffentliche Wahrnehmungen und Diskurse etwa zu Kriminalität, Religion oder Migration.
Anders als in den angelsächsischen Ländern sind jedoch die alltagspraktischen Normalisierungen und Subjektivierungen des Sicherheitsdispositivs und sein Eindringen in private und intime Sphären noch kaum in der deutschsprachigen öffentlichen und kulturwissenschaftlichen Diskussion verankert. Unter kulturanthropologischen und historischen Fragestellungen möchte sich die Tagung daher aus zwei Richtungen der Thematik des Alltags der (Un)Sicherheit annähern: zum einen aus der Perspektive von Politik und Institutionen, und zum anderen aus dem Blickwinkel von AlltagsakteurInnen. Gezeigt werden soll, wie Erfahrungen und Imaginationen von Sicherheit und Bedrohungen entstehen und tradiert werden, wie sie in Politiken und Werkzeuge übersetzt werden und als solche wiederum Alltagspraktiken informieren.
Die Tagung zielt darauf ab, Forschende aus Europäischer Ethnologie/ Kulturanthropologie/ Volkskunde und verwandten Fächern zusammenzubringen, die sich aus einer spezifischen theoretischen und/oder methodologischen Perspektive dem Thema Sicherheit widmen. Im Spannungsfeld zwischen „Security“ und „Safety“ bewegen sich die Themen zwischen Forschungen zu institutionellen und gouvernementalen Maßnahmen und Vorstellungen zum privaten und körperlichen Wohlergehen.
Entsprechend stellen sich jeweils Fragen nach Referenzpunkten, Intentionen, Akteuren, nach Diskursen und Narrativen, Subjektivierungsprozessen und institutionellen Verankerungen von Sicherheit.
Tagungsgebühr: EUR 30,00 / Studierenden-Ermäßigung: EUR 15,00
Information, Hinweise zur Anmeldung: http://volkskunde.uni-graz.at
Kontakt und Anmeldung: volkskunde(at)uni-graz.at
————————————————————————
PROGRAMM:
Freitag, 06.11.2015
09:00 – 09:15 Eröffnung
09:15 – 10:00 Keynote
Mark Maguire: Sensing Evil: Counterterrorism techniques and techno-science.
10:00 – 10:30 Kaffeepause
10:30 – 12:15 Panel 1: Kontrollregime
Moderation: Burkhard Pöttler
Stefan Groth: „Kein sichereres Mittel existiert zur Abwehr von allem Lumpengesindel“: Zur Technisierung und Legitimierung von Sicherheits- undKontrollregimen um 1900.
Niklas Barth: Unsicherheit als Ressource. Der Hausarzt und das moderne Sicherheitsdispositiv.
Martina Röthl: „Weil sie Angst hatten, dass sie dort bestohlen und ausgenommen werden!“ Tourismus als Dispositiv: Gelernte (Un-)Sicherheit, gewordene Rationalität, gefühlte Autonomie…
12:15 – 13:45 Mittagspause
13:45 – 15:00 Panel 2: Strategien
Moderation: Barbara Frischling
Christoph Paret: Empowerment durch Provokation? Ermächtigungspraktiken an der Grenze von Selbstsicherheitstraining und Verunsicherung.
Sophia Booz: Sicherheit durch Zerstörung. Aktenvernichtung als Herstellung von Sicherheit(en).
15:00 – 15:30 Kaffeepause
15:30 – 16:45 Panel 3: Subjekt und Emotion
Moderation: Johanna Rolshoven
Alexandra Schwell: Sicherheit und Angst. Überlegungen zu einem scheinbar ganz natürlichen Zusammenhang.
Katharina Eisch-Angus: Germanwings und das Ethnografieren der Sicherheit.
16:45 – 17:30 Artist‘s Conversation
Rediscovering one’s own sense of agency:
A conversation with Reni Hofmüller, Hussein Azarang and Mazen Abu Khaled
Samstag, 07.11.2015
09:00 – 09:15 Begrüßung
09:15 – 10:00 Keynote
Werner Schiffauer: Islampolitik im Spannungsfeld von Sicherheit und Integration. Das bürokratische Feld anhand von Auseinandersetzungen zur muslimischen Gefängnisseelsorge in Berlin.
10:00 – 10:30 Kaffeepause
10:30 – 12:15 Panel 4: Migration
Moderation: Judith Laister
Maria Schwertl: „Eurosur – Dein Feind und Helfer“. Diskussionen und Genealogien des neuen europäischen Grenzüberwachungssystems.
Lee Hielscher: Endstation Geduld. Erkundungen in der Polizisierung des Sozialen.
Sarah Nimführ: Alltag im Dazwischen. Über nicht abschiebbare Geflüchtete auf Malta.
12:15 – 13:45 Mittagspause
13:45 – 15:30 Panel 5: Übergangsräume und Verkehr
Moderation: Katharina Eisch-Angus
Kai Nowak: „Hör auf deine Frau – fahr´ vorsichtig!“ Historische Perspektiven auf die Sphäre des Privaten in der Verkehrssicherheitsarbeit.
Gerrit Herlyn: No Fly Lists, Passagierdifferenzierung, Trusted Traveler. Zur Kulturanalyse datenbasierter Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen.
Nils Zurawski: Von den imaginären Geographien der Sicherheit.
15:30 – 16:00 Kaffeepause
16:00 – 17:30 Roundtable: Wessen Sicherheit? Perspektiven im Alltag der (Un)Sicherheit
Moderation: Alexandra Schwell
u.a. mit Nils Zurawski/Universität Hamburg, Iris Murer/Universität Graz, Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen, Reinhard Kreissl/VICESSE – Vienna Centre for Societal Security, Werner Miedl/Verein „Sicher Leben in Graz“.
17:30 Tagungsabschluss
Wessen Sicherheit? Perspektiven im Alltag der (Un)Sicherheit
Im Alltag treffen Ängste, Interessen und Erfahrungsweisen subjektiver und institutioneller Sicherheit aufeinander, hier werden sie mit ihren Widersprüchen und wechselnden Perspektiven verhandelt. Expertinnen und Experten aus Gesellschaftswissenschaft und Kulturanthropologie, angewandter Sicherheitsforschung und kommunaler Praxis diskutieren zu aktuellen Fragen.
U.a. mit Nils Zurawski/Universität Hamburg, Wolfgang Benedek/Universität Graz-Forschungsplattform „Menschenrechte, Demokratie, Diversität und Gender“
Alexandra Schwell
Institut für Europäische Ethnologie
alexandra.schwell@univie.ac.at