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cfp: „Körper-Technologien“, Göttingen 2013

Mit diesem Call laden wir euch herzlichst ein zur 14. Arbeitstagung der Kommission für Frauen- und Geschlechterforschung in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde zum Thema „Körper-technologien – Ethnografische und gendertheoretische Perspektiven auf die Refigurationen des Körperlichen

Termin: 12.-14.7.2013  
Ort: Universität Göttingen

Die Vorbereitungsgruppe freut sich über die Einsendung von Vorträgen, Workshops und neuen kreativen Formaten bis zum 30.1.2013!

Bitte senden Sie Ihre Proposals an: shess[at]uni-goettingen.de

 

Auszüge aus dem Call:

In einer der zahlreichen Publikationen zu „Körper und Geschlecht“, die in den letzten Jahren vor allem aus soziologischer Perspektive zu dem Themenkomplex erschienen sind, konstatiert Julia Reuter (2011) einen „allseits gefeierten ‚body boom‘“. Neben den Gender Studies hätten vor allem die Medizin- und Wissenssoziologie, wie auch die Sport-, Medien-, Gewalt- und Ungleichheitssoziologie in den letzten Jahren den Körper als Untersuchungsfeld entdeckt und bearbeitet. Auch Paula Villa spricht in der 3. Auflage von „Sexy Bodies“ (2006) von einem „regelrechten ‚Boom‘“ der wissenschaftlichen Literatur zum Körper und bezieht sich hier dezidiert auch auf historische und kulturanthropologische Arbeiten (ebd., 17). 

Dieser Boom ist angesichts der öffentlichen Debatten und Bilderwelten nicht überraschend, in denen der Körper zwar nicht mehr nur als junger, aber doch meist als fitter und gesunder Körper omnipräsent ist. Im Zentrum medialer Aufmerksamkeit steht dabei die zunehmende Form- und Gestaltbarkeit, die eng an Forderungen nach Selbstoptimierung und Selbstsorge gekoppelt ist. Der „Gesundheitskörper“ ist ebenso Verheißung auf ein langes Leben wie Drohung: Er verpflichtet zu immer neuen Selbstbeobachtungen, Gesund-Leben-Maßnahmen, medizinischen Früherkennungs-programmen und Visualisierungstechnologien, ob im embryonalen Zustand (pränatale Diagnostik), im „besten Arbeitsalter“ (Burn-out) oder im „hohen Alter“.

Doch der Befund, dass der Körper seines biologischen „Schicksals“ zunehmend enthoben zu sein scheint, ist mehrdeutig. Denn Formbarkeit meint auch einen variableren und situativen performativen Einsatz von Körpern, wie er etwa in subkulturellen Szenen und in Transgender- Praktiken zum Ausdruck kommt. Die Entnaturalisierung des Körpers ist eng verbunden mit einem ambivalenten Set von Dynamiken, die einerseits zu dessen Medikalisierung, Kommerzialisierung und Mediatisierung führen, andererseits aber auch die Regime der Rassifizierung und Vergeschlechtlichung des Körpers herausfordern und performativ unterlaufen (und hierzu auch die neuen Körpertechnologien und die Konsumkultur weidlich und eigensinnig nutzen).

Die sozial- und kulturwissenschaftliche Forschung hat auf diese Befunde mit neuen Körperkonzeptionen reagiert. In dem Maß, in dem die Haut ihre Funktion der Begrenzung verloren hat, sollte – so schlagen etwa die Kulturanthropologinnen Judith Farquhar und Margaret Lock vor – von vielen, lokalen Körpern gesprochen werden. Dies würde eine  Abkehr von modernen, normierten Körpervorstellungen eines „body proper“ ermöglichen.

Doch wie sieht es mit dem ‚body boom’ im Bereich der Volkskunde_Europäischen Ethnologie_Kulturanthropologie aus? Wie wird hier über Körper und Körper-Technologien nachgedacht? Zwar gilt der Körper auch hier – etwa in der Kleidungs- und Nahrungsforschung oder der Alltags- und Konsumkulturforschung – als eine zentrale Referenz. Dennoch ist es nach den letzten großen gendertheoretischen Kontroversen zu Beginn der 1990er Jahre zwischen radikal-konstruktivistischen Ansätzen in Nachfolge Judith Butlers und leibestheoretischen Einwänden wie etwa von Barbara Duden in diesem Forschungsfeld ruhiger geworden. Der Körper läuft quasi eher am Rande der fachlichen Frauen- und Genderforschung mit. In den sozial- und kulturanthropologischen Science and Technology Studies, die hierzulande insbesondere im Bereich von Medizin und Lebenswissenschaften diskutiert werden, und in den Queer Studies ist der „Körper“ allerdings auch konzeptionell ein produktiver Unruheherd für neue Fragen und Forschungszugänge geblieben.

Dabei hat das Vielnamenfach für die Körperdiskussion einiges zu bieten: So haben schon frühe sozial- und kulturanthropologische Arbeiten den Körper als „kultivierte Natur“ (Marcel Mauss) konzipiert und dem Kultur-Natur-Dualismus eine Absage erteilt. Zudem haben die kultur-vergleichende Vorgehensweise und die ethnografischen, praxeologischen Forschungsansätze das Potenzial, zwischen den polarisierten Konzeptualisierungen von Körper als Leiblichkeit/subjektive Erfahrung einerseits und Körper als Diskurs/Konstrukt andererseits zu vermitteln. Gerade praxis-orientierte Herangehensweisen verweisen auf das widerspruchsvolle „doing body“. Sie zeigen, wie Normierungsverfahren und Diskurse sich in alltäglichen Mikropraktiken umsetzen müssen, um „wahr“ zu werden, und wie die Akteure dabei „reflexiv“ und „eigensinnig“ mit Anforderungen und Möglichkeiten umgehen. Zudem liefert die Kulturanthropologie der Sinne und Emotionen wichtige Impulse für die Analyse sinnlicher, affektiver und leiblicher Aspekte des Körper-Seins.

Vor dem Hintergrund dieses breit gespannten Bogens lädt die Kommission Frauen- und Geschlechterforschung zu einem Überdenken der kulturanthropologischen Körperforschung ein. Dazu wollen wir anhand von Beispielen vielfältiger lokaler – historischer wie gegenwärtiger – Körperpraktiken alte und neue Ansätze und Konzeptualisierungen des Faches sichten und nach den Potenzialen und Grenzen ethnografischer und historisch-kulturanalytischer Vorgehensweisen fragen. Gender verstehen wir hierbei selbstredend als analytische Kategorie, die sich immer im Wechselverhältnis mit anderen Dimensionen der Macht artikuliert.

Der Begriff Körper-Technologien soll dabei helfen, die in den Gender Studies auf Fragen nach dem Zusammenhang von Körper und Geschlecht sowie nach Inszenierungsphänomenen eng geführte Debatte (Lindemann, Villa, Reuter etc.) auszuweiten und zugleich zu fokussieren:

Ausweiten wollen wir das Themenspektrum insofern, als wir auch die auf den ersten Blick „körper-fernen“ Bereiche ansprechen, wie bspw. die aktuelle Arbeits- und Medien(nutzungs)forschung. Fokussieren möchten wir mit Hilfe des Begriffs der Körper-Technologien zum einen auf körperbezogene genderanalytische Forschungen, die sich auf Bereiche und Praktiken konzentrieren, in denen mit Hilfe technischer Geräte, Anordnungen und darauf beruhenden Wissensformaten auf Körper zugegriffen wird, um sie zu erweitern und dabei den Körper (unsere Ideen von und Umgangsweisen mit ihm) zu re-konfigurieren und zu modifizieren. Zum anderen wollen wir damit für eine dezidiert macht- und subjekttheoretische Perspektive plädieren, wie etwa im Sinne von Michel Foucaults Konzepten der „Biopolitik“ und der „Technologien des Selbst“.

Die Beiträge können folgende thematischen, theoretischen und/oder methodologischen Fragestellungen aufgreifen:

–              Was ist der Körper der Volkskunde_Europäischen Ethnologie_Kulturanthropologie? Hier stehen Erkenntnisse, Gegenstandskonstruktionen und theoretische sowie methodische Vorgehensweisen und (aktuelle wie historische) Körper-Konzepte volkskundlicher_europäisch ethnologischer_ kulturanthro-pologischer genderanalytischer Körperforschung im Zentrum.

–              Wo bleiben die Körper in den neueren gesellschaftlichen Umbrüchen, Krisen und Umstrukturierungen? Welche neuen Körper werden in den verschiedenen kulturellen und gesellschaftlichen Bereichen der Arbeitswelt, des Rassismus, der Versicherheitlichung, der Medikalisierung, der Biometrisierung, der Gentri-fizierung, der Integrationsdebatten – um nur einige Felder zu benennen – gefordert, gefördert, verworfen und praktiziert? Wie verkörpern sich neue Verhältnissetzungen und gesellschaftliche Prozesse (z.B. Prekarisierung) und wie werden hierbei Körper und Wissen aufeinander bezogen?

–              Wie artikulieren sich (aktuelle und historische) widerständige, queere Körper(praktiken)? Wie lässt sich Veränderung zwischen den Kräften der Normierung und Zurichtung und widerständigen Praktiken des Entgehens, Meidens bis hin zu offenem Widerstand denken?

–              Was sind die Körper(praktiken) der Ethnografie, der kulturanthropologischen Erkenntnis-weisen von der historisch-archivalischen Forschung bis hin zur Feldforschung im Sinne von Inskription und Teilnahme? Welche Sinne und körperlichen Praktiken werden vom ethnografischen Erkenntnismodus privilegiert und welche kulturellen Wissensordnungen entstehen hierbei? Und wie kommt der Körper der Forschenden in den Text?

Bei der geplanten Tagung sollen Diskussionen und wechselseitige Kommentierungen im Zentrum stehen. Deswegen sind neben „klassischen Vortragsformaten“ auch Kurzpräsentationen, Kommentare, Streitgespräche und anderes geplant. Vorschläge für Workshops oder andere Formate der Diskussion sind ausdrücklich erwünscht!

 

Zu den Abstracts:

Wir freuen uns über Vorschläge für Vorträge und/oder Workshops aus allen empirisch arbeitenden Sozial- und Kulturwissenschaften. Die Abstracts in einer Länge von max. 2000 Zeichen sollen Fragestellung, empirischen Hintergrund und Thesen deutlich machen sowie kurze Angaben zur Person enthalten.

 

Konzeption und Organisation:

Kommission Frauen- und Geschlechterforschung der dgv: Sabine Hess

Vorbereitungsgruppe des Instituts für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie, Göttingen: Katrin Amelang, Christine Hämmerling, Sabine Hess, Nora Kühnert, Anna-Carolina Vogel, Nadine Wagener-Böck

Vorbereitungsgruppe des Instituts für Europäische Ethnologie, HU: Beate Binder, Sven Bergmann, Friedrich von Bose, Nadine Heymann, Anika Keinz, Martina Klausner, Michi Knecht, Alik Mazukatow, Kelly Mulvaney, Eva Kristin Stein

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