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cfp Tagung „Die Evidenz der Familie“, Münster 2013

CfP Die Evidenz der Familie zwischen Wissenschaft, Alltag und Politik im 20. Jahrhundert. Empirische und epistemologische Befunde in vergleichender Perspektive

Veranstalter:
Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie (Elisabeth Timm) in Kooperation mit dem Historischen Seminar /Emmy Noether Nachwuchsgruppe „Familienwerte im gesellschaftlichen Wandel: Die US-amerikanische Familie im 20. Jahrhundert“ (Isabel Heinemann), Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Datum, Ort: 31.1.2013-2.2.2013, Universität Münster

Deadline: 20. August 2012

 

Familie und Verwandtschaft haben in den sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen eine neue Aufmerksamkeit erfahren. Das lässt sich nicht nur an einer quantitativen Zunahme von „Familie“ oder „Verwandtschaft“ als Untersuchungsgegenstand festmachen, sondern auch an qualitativ neuen Perspektivierungen: die „neue Geschichte der Verwandtschaft“ differenziert zwischen „usueller“ und „offizieller“ Verwandtschaft (M. Lanzinger/E. Saurer). In der Soziologie haben netzwerkanalytische Zugänge neue Fragen aufgeworfen. In der Ethnologie bzw. Kultur- und Sozialanthropologie entwickelten die „new kinship studies“ Konzepte wie „belonging“, „relatedness“, „doing kinship“ (J. Carsten, P. Schweitzer).

Ziel der Konferenz ist es, die Analyse von Erscheinungsformen der ‚Familie‘ empirisch und epistemologisch weiter zu verfeinern und genauer zu situieren. Hierzu thematisieren wir ins-besondere folgende Aspekte:

– die historische Präsenz kleinfamilialer Lebensformen: in den „Trente Glorieuses“ (J. Fourastié zum Frankreich der Jahrzehnte 1945 bis 1975) der fordistischen Regulationsweise insbesondere in den westlichen Industrienationen war die männliche Ernährerfamilie eine weit verbreitete Lebensform;
– politische Mobilisierung der Familie in der Gegenwart: die postfordistische Wohl-fahrtsregulation hat den kulturpessimistischen Diskurs vom „Zerfall der Familie“ hinter sich gelassen, betrachtet ‚Familie‘ als „Ressource“ und verbindet auf diese Weise tradierte Fami-lien- und Geschlechterideale mit neuen Bezugssetzungen und Beziehungsformen, die einer-seits als Re-Traditionalisierung wirken können aber auch als entgrenzte Familie beschrieben werden;
– ‚Familie‘ als normativer Verweis: bei der politischen und institutionellen Gestaltung der gesellschaftlicher Differenzierung und hinsichtlich der Regierung sozialer Ungleichheit fungieren und fungierten kleinfamiliale Stereotype als Disziplinierungs- und Normierungs-instrument sowohl in der fordistischen Wohlfahrtsregulation als auch nach dem Rückbau der staatlichen Leistungen des „welfare capitalism“ (G. Esping-Andersen);
– Reifizierungen der „euro-american family“ jenseits von Natur und Kultur: im Kontext neuer Formen des Sich-Verbindens wie bei der Nutzung von Reproduktionsmedizin und bei transnationalen Adoptionen vermerkten ethnologische Studien nicht nur einen Wandel son-dern auch Rückgriffe auf überlieferte Ideale und Lebensformen sowohl von Seiten der betei-ligten Institutionen und Unternehmen und hinsichtlich der begleitenden staatlichen bzw. ge-setzlichen Regelungen wie bei den Alltagspraktiken der NutzerInnen dieser Formen; in popu-läre Lesestoffe sowie Film- und TV-Familien artikulieren gewandelte wie tradierte kleinfami-liale Ideale;
– Kritik der Spezifik einer „modernen Kleinfamilie“: Revisionen historischer (v.a. Ph. Ariès) und ethnologischer Befunde zur Spezifik der modernen bzw. „euro-american family“ (M. Strathern) erörtern, inwiefern als moderne und/oder westliche Erfindungen geltende For-men wie „Kindheit“, „romantische Liebe“ oder „Kleinfamilie“ nicht doch eine ältere Ge-schichte haben bzw. historisch und kulturell weit verbreitete Lebensformen und Liebesweisen waren und sind Die Kontaktnahme von empirischen und epistemologischen Fragen in diesem Forschungsfeld ist nicht neu. Schon Herbert Marcuse hatte in den „Studien über Autorität und Familie“ des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (1936) den naturalisierenden, ahistorischen Fami-lienbegriff der deutschsprachigen Soziologie (insbes. W.H. Riehl) dekonstruiert. Pierre Bour-dieu hatte im „Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabyli-schen Gesellschaft“ (frz. Orig. 1972) mit der Formel „Verwandtschaft ist eine Sache die man macht und aus der man etwas macht“ die Dichotomie zwischen ontologisierenden und dekon-struktivistischen Ansätzen überwunden. In diskursanalytischer Perspektive haben poststruktu-ralistische Studien Familie als komplexe Artikulation von Ordnungen zwischen Subjekt und Gesellschaft begriffen (J. Donzelot) und damit ihre Reduktion auf eine soziale Form über-wunden. Die Sozialgeschichte und historische Anthropologie hat seit den 1970er Jahren einen spontanen Familienbegriff für analytisch untauglich erklärt und nachdrücklich auf die Not-wendigkeit der Klärung der jeweiligen Verwendung bestanden (u.a. K. Hausen, C. Lipp, M. Mitterauer, H. Rosenbaum, D.W. Sabean, M. Segalen, R. Sieder).

Gemeinsam ist schließlich den frühen wie den aktuellen Revisionen der Forschung, dass sie einerseits die Familie/Kleinfamilie/Kernfamilie (mit einem heterosexuellen Elternpaar) als ethnozentrisches Konstrukt des Westens und als soziozentrische Norm bürgerlicher Milieus herausgearbeitet haben. Andererseits wurde zugleich darauf hingewiesen, dass die Kontakt-nahme von empirischen und epistemologischen Zugängen weiter zu entwickeln ist.

Hinsichtlich der analytischen Perspektiven besteht einerseits ein breiter Konsens, dass norma-tive bzw. sozial und historisch stark gebundene Definitionen von „Familie“ bzw. „Verwandt-schaft“ nicht tragfähig sind. Andererseits wirft dies die Frage auf nach der Abgrenzbarkeit des Untersuchungsgegenstandes „Familie“/“Verwandtschaft“, die nach wie vor von anderen sozialen Formen (Freundschaft, Nachbarschaft) unterschieden werden soll. Neueste historische (D.W. Sabean/S. Teuscher/J. Mathieu) und ethnologische Zugänge (M. Sahlins) erörtertern daher einen neuen, post-dekonstruktivistischen, definitorischen Zugang zum Untersuchungsgegenstand.

Die geplante Tagung versteht die beiden Zugänge zum Thema – kurz gefasst: die Frage nach empirischen Belegen familialer Lebensformen im historischen Wandel und in gegenwärtigen Varianzen einerseits und die Reflexion analytischer Kategorien und Definitionen des Unter-suchungsgegenstandes andererseits – nicht als einander ausschließend. Sie möchte diese viel-mehr neu zueinander in Kontakt bringen, indem „die Familie“ als zentrales und produktives „epistemisches Objekt“ (L. Daston, H.-J. Rheinberger) der Untersuchung von Lebensformen betrachtet wird.

Das soll ausgehend von fünf Themenbereichen geschehen. Deren Unterscheidung ist keine kategorische, sondern betont jeweils ein anderes Element der „Evidenz der Familie“. Wir wünschen uns Vorschläge für Vorträge, die einen empirisch fundierten Beitrag leisten und sich auf das Thema eines Panels beziehen. Entscheidend ist dabei nicht die disziplinäre Veror-tung, sondern die Bezugnahme auf die Fragestellung der Tagung.

Am Beginn jedes Panels steht ein einleitender und eingeladener Beitrag.

 

Tagungsstruktur

Keynote:
David W. Sabean: „Kinship in incest discourse since the 19th century“

Panel A Die Familie in der wissenschaftlichen, politischen, ökonomischen Kritik Welcher Art ist die Beziehung zwischen gelebten Familienformen und deren politischer, öko-nomischer und wissenschaftlicher Kritik (z.B. in den Frauenbewegungen, in der Frankfurter Schule)? Inwiefern konstituieren, verändern oder stützt die jeweilige Kritik Alltagspraktiken sowie Familienwerte und -konzepte?

Eingeladener Beitrag: Kristina Schulz, Historisches Seminar, Universität Bern/CH: „Neuorganisation von Produktion und Reproduktion“ (S. Firestone): Kritik und Utopie der Familie in der kognitiven Orientierung der neuen Frauenbewegung“

Panel B Die Familie der Experten: Normen, Hilfe, Beratung Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen der modernen These vom „Zerfall der Familie“ und dem sich komplementär dazu etablierenden „Beraterwesen“ (J. Donzelot) zur Familie in der Politik wie in den Sozialwissenschaften (z.B. als „social engineering“ (T. Etzemüller) oder in Gestalt der „Sozialexperten“ (L. Raphael/W. Hardtwig)? In welchen Teilbereichen können hier Bezüge und Aushandlungen zwischen Alltagspraktiken und normativen, politischen, institutionellen Vorgaben empirisch fundiert untersucht werden? Kann das als „Wertewandel“ (R. Inglehart, H. Klages) gefasst werden?

Eingeladener Beitrag: Miriam Gebhardt, Fach Geschichte, Universität Konstanz.

Titel: tba

 Panel C Die Familie der Politik: von der Keimzelle des Staates zur gouvernementalen Res-source Wann und anhand welcher Politiken genau kann ein Wandel von der politischen Positionie-rung der Familie als primordial und privat (etwa im „welfare capitalism“, G. Esping-Andersen) zur Familie als Ressource der gesellschaftlichen Reproduktion (nach dem neoliberalen Umbau der modernen Wohlfahrtsstaaten) identifiziert werden? Welche Umstellungen und Neuformungen (z.B. des Geschlechterverhältnisses) und welche Kontinuitäten sind dabei zu beobachten und inwiefern sind diese fungibel für die jeweiligen Erscheinungsformen von Macht?

Eingeladener Beitrag: Jürgen Martschukat, Nordamerikanische Geschichte, Universität Erfurt: „Regieren über Familie“

Panel D Populäre Familien: Sehnsüchte, Wünsche, Ideale und Praxisformen Sind die sprichwörtlichen Bilderbuchfamilien (resp. Familienbilder in populären Medienfor-maten) tatsächlich eindeutig (z.B. westlich, modern, heterosexuell) codiert? Wo und wie arti-kulieren sich vernakulare Konzepte tradierter oder gewandelter Familien?

Eingeladener Beitrag: Uta Fenske, Zentrum für Geschlechterstudien, Universität Siegen:

Titel: tba

 

E) Familie als Wissen: Nutzungen von Reproduktionstechnologie, ‚new kinship‘ als analytischer Zugang Inwiefern bringt die Etablierung und Nutzung von Reproduktionstechnologie und Praktiken der transnationalen Adoption eine neue Explikation von Familienformen im Alltag mit sich? In welchem Verhältnis stehen hier Re-Traditionalisierungen zur Legitimation solcher Familien und die damit verbundenen Umbrüche bisheriger Ordnungen?

Eingeladener Beitrag: Maren Klotz, Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität zu Berlin u. University of Exeter „Kinformation: Verwandtschaftliches Wissensmanagement in Keimzellspende-Familien und die Wissensanthropologie der New Kinship Studies“

 

Bitte senden Sie Ihren Vorschlag für einen Tagungsbeitrag (Titel mit Abstract von max. 300 Worten sowie einer kurzen biographischen Information) (deutsch oder englisch) bis zum 20. August 2012 an: volkskunde.institut@uni-muenster.de.

Tagungssprachen: Deutsch und Englisch.

Kontakt:
Karin Krabbe
volkskunde.institut@uni-muenster.de
Seminar für Volkskunde/Europäische Ethnologie Scharnhorststr. 100
48151 Münster

Weitere Informationen in der Tagungskonzeption (deutsch und englisch): http://www.uni-muenster.de/Volkskunde/Aktuelles/index.shtml

http://www.uni-muenster.de/Geschichte/hist-sem/NwG-ZG/

 

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