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Innsbruck: CfP: Zur Methode der ethnografischen Feldforschung/Popkongress 2017

Tagung: Zur Methode der ethnografischen Feldforschung

9. Jahrestagung der AG Populärkultur und Medien in der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM), Popkongress 2017, 2. – 4. Februar 2017, Innsbruck

 

Die 9. Jahrestagung der AG Populärkultur und Medien hat mit der ethnografischen Feldforschung eine Forschungsmethode zum Gegenstand, die Van Maanen als „peculiar practice of representing the social reality of others through the analysis of one’s own experience in the world of these others“ (Van Maanen 2010: XIII) definiert. Das große Interesse, das die im Kontext der außereuropäischen Ethnologie entwickelte Methode derzeit in vielen sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen und besonders auch in der Populärkultur- und Medienforschung weckt, resultiert aus ihrem Zweck, eine Annäherung an die Wirklichkeitswahrnehmungen und Alltagspraxen anderer Menschen zu ermöglichen. Angesichts der Komplexität gesellschaftlicher Verhältnisse in der Spätmoderne – und mit dieser einhergehender gesellschaftlicher Phänomene wie Individualisierung und Rassismus – geht die Tagung davon aus, dass, „despite the problems it faces, the need for ethnography – away and at home – is greater than ever before“ (Van Maanen 2010: XI).

Die mit der Methode einhergehende Herausforderung, die von Van Maanen hier angesprochen wird, ist nicht nur dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der ethnografischen Feldforschung weniger um eine klar umrissene Methode als vielmehr um ein flexibles Methodenbündel handelt, in dessen Zentrum teilnehmende Beobachtungen, informelle Gespräche und offene Interviews stehen. Die Herausforderungen resultieren vor allem daraus, dass die Methode die Subjektivität der forschenden Person als Methodeninstrument einsetzt; sind es doch ihre Wahrnehmungen und Erlebnisse, aus denen das Datenmaterial hervorgeht.

In jüngster Zeit wird die Subjektgebundenheit ethnografischen Feldforschens insbesondere unter dem Aspekt der vielfältigen sensuellen Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen thematisiert (Arantes u. Rieger 2014). Aber wie schon die Heftigkeit der Reaktionen auf die Veröffentlichung der Tagebücher Bronislaw Malinowskis in den 1960er Jahren zeigt, wohnt der Subjektgebundenheit des ethnografischen Feldforschens ein Irritationsmoment inne, das sich nicht einfach übergehen läßt. Eröffnet sich hier doch ein Spannungsfeld, dessen weitere Eckpunkte der Objektivitätsanspruch der Wissenschaft aber auch die Abhängigkeit der wissenschaftlichen Diskussion von übergreifenden symbolischen Ordnungen, Sinneskulturen und den begrifflichen Kategorien, die als Paradigmen die wissenschaftliche Diskussion ausrichten, bilden.

Insofern geht mit der Anwendung der Methode des ethnografischen Feldforschens auch die Notwendigkeit einher, diese Präsuppositionen sowie den Stellenwert, der hier der Subjektivität der forschenden Person zukommt, zum Gegenstand der Methodenreflexionen zu machen. Alexa Färber hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, eine Analogie zwischen der Subjektgebundenheit des ethnografischen Feldforschens und dem gesellschaftlichen Dispositiv des unternehmerischen Selbst zu ziehen (Färber 2008). Ein anderer Fokus ergibt sich aus der ethnopsychoanalytischen Forschungstradition, in der die subjektiven Irriationen der feldforschenden Person potentiell als ein Datum über die Kultur des untersuchten Feldes verstanden werden (Bonz 2016, Davies u. Spencer 2010, Devereux 1973).

Der Kanon der Populärkultur- und Medienforschung umfasst einige Klassiker, die auf der Grundlage ethnografischer Feldforschungen entstanden sind, wie Paul Willis’ (1978) Studie über Rocker und Hippies; Marie Gillespies (1995) Untersuchung der Mediennutzung durch Jugendliche in der Situation der Migration und Gerry Bloustiens (2003) Girl Making – A Cross-Cultural Ethnography on the Processes of Growing up Female. Der Ansatz der Tagung ist es, an diese Studien anzuknüpfen und nach aktuellen Erfahrungen mit ethnografischem Feldforschen zu fragen und hierbei Praxen des Feldforschens zu beschreiben und gemeinsam zu erörtern:

Wie lassen sich sinnvolle Feldforschungsnotizen schreiben und welche Funtion kann hierbei spezifischen Medien des Aufzeichnens zukommen? Eröffnen Medienwechsel alternative Wahrnehmungen des Feldes? Was verstehen wir unter dichten Beschreibungen? Wie intuitiv, systematisch, umfassend oder kleinschrittig kodieren wir Feldmaterial (Emerson et al. 1995)? Wie werden signifikante Ereignisse im Feld bzw. in den Feldnotizen erkannt? Welche Herausforderungen gehen mit der Online-Ethnografie (Koch 2014) einher bzw. mit der Untersuchung „medialer Räume“ (Zillinger 2015)? Sind computerunterstützte Auswertungsverfahren sinnvoll? Wie ist unser Verhältnis heute, gute zwanzig Jahre nach der Writing-Culture-Debatte, zur eigenen Autorschaft und in welchen Formen werden die Stimmen des Untersuchungsfeldes repräsentiert?

Zur Diskussion stehen dabei auch epistemologische Frage wie der Begriff des Feldes (Hess u. Schwertl 2013) und methdodologische Fragen wie, wieviel Teilnahme das teilnehmende Beobachten eigentlich verkraftet (Hitzler et al. 2016).

 

Um einen lebendigen Austausch zu befördern, kombiniert die Tagung verschiedene Präsentationsformate, zu denen jeweils Vorschläge eingereicht werden können:

  • Vorträge zur Praxis ethnografischer Methodenanwendung oder zur Methodologie
  • Redebeiträge zu einer Diskussionsrunde zur Subjektgebundenheit der Methode der ethnografischen Feldforschung.
  • Teilnahme bzw. Einbringung von Feldforschungsmaterial in eine Feldforschungssupervisionsgruppe nach dem Modell der ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstatt.
  • Eine weitere Diskussionsrunde beschäftigt sich mit Perspektiven der AG Populärkultur und Medien, ihren Untersuchungsgegenständen, relevanten Forschungsfragen und dem Verhältnis der AG zu anderen wissenschaftlichen Institutionen; auch hierzu können Vorschläge eingereicht werden.
  • Unabhängig vom Tagungsthema wird ein Forschungsworkshop stattfinden, in dem aktuelle Forschungsprojekte in ihrer konzeptuellen Anlage bzw. in einzelnen Aspekten vorgestellt werden (siehe unten).

 

Die Tagung umfaßt außerdem eingeladene Vorträge (Keynotes) sowie die Mitgliederversammlung der AG mit turnusmäßiger Wahl der Sprecher*innen.

 

Bitte alle Einreichungen im Dateinamen mit Nachnamen der einreichenden Person, Kurztitel und Formatangabe bezeichnen und im pdf-Format speichern (Name_Kurztitel_Angabe des Formats.pdf).

 

Der Call for Papers endet am 15. November 2016.

Anmeldung und Information: joachim.bonz@uibk.ac.at

 

Veranstalter: PD Dr. J. Bonz, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, in Kooperation mit Innsbruck Media Studies (IMS) und dem Institut für psychosoziale Intervention und Kommunikationsforschung (PsyKo).

 

Soderformat Forschungsworkshop

 

Im Rahmen der Jahrestagung bietet die AG als integralen Bestandteil einen Forschungsworkshop an, der sich insbesondere an Doktorand*innen und Studierende aller Disziplinen richtet. Die Teilnehmer*innen erhalten im Workshop die Möglichkeit, ihre Qualifikationsarbeiten vorzustellen und sich mit konkreten Fragestellungen und Problemen an das Fachplenum der AG zu wenden. Der Fokus des Workshops liegt auf den jeweils spezifischen Herausforderungen, die sich bei der Durchführung einer Qualifikationsarbeit ergeben und soll insbesondere offene Fragen, theoretische, methodische und/oder konzeptionelle Herausforderungen thematisieren. Das wesentliche Ziel ist der problemzentrierte, konstruktive, kollegiale und lösungsorientierte Austausch über spezifische Probleme der vorgestellten Work-in-progress-Projekte. Um diesem Austausch mehr Raum zu geben, als es im Rahmen üblicher Vortrags- und Diskussionsformate möglich ist, ist der Workshop in zwei Phasen strukturiert:

Phase 1: Jeweils 10- bis 15-minütige problemzentrierte Vorträge der Workshop-Teilnehmer*innen

Phase 2: Gezielter Austausch in ca. 30-minütigen offenen Gruppengesprächen über die referierten Themen, Fragestellungen, Herausforderungen und Probleme

Organisation: Katja Kaufmann, Mario Anastasiadis, Sandra Mauler.

Der Forschungsworkshop ist ein grundsätzliches Angebot der AG Populärkultur und Medien. Einreichungen in diesem Rahmen sind daher ausdrücklich nicht an das Thema der Jahrestagung gebunden, sondern können aus dem gesamten thematischen Spektrum der Populären und Popkultur stammen. Die Teilnahme am Forschungsworkshop ist kostenlos und unabhängig von einer Teilnahme am Popkongress. Wir empfehlen jedoch die Teilnahme an der Jahrestagung, nicht zuletzt um dem Netzwerkgedanken Rechnung zu tragen.

Ein maximal 2-3 seitiges Proposal mit kurzem Lebenslauf, in dem das Thema, der Stand der Arbeit sowie die konkreten theoretischen, konzeptionellen und/oder methodischen Herausforderungen, die besprochen werden sollen, skizziert werden, bitten wir bis zum 15.11.2016 an forschungsworkshop@popkongress.de zu senden.

 

Quellen

 

Arantes, Lydia Maria; Rieger, Elisabeth (Hg.):  Ethnographien der Sinne. Wahrnehmung und Methode in empirisch-kulturwissenschaftlichen Forschungen. Bielefeld: Transcript 2014.

Bloustien, Gerry: Girl Making – A Cross-Cultural Ethnography on the Processes of Growing up Female. New York: Berghahn 2003.

Bonz, Jochen. Subjektivität als intersubjektives Datum im ethnografischen Feldforschungsprozess. In: Zeitschrift für Volkskunde, 112. Jahrgang (2016), Heft 1, 19-37.

Davies, James; Spencer, Dimitrina (Hg.): Emotions in the Field. The Psychology and Anthropology of Fieldwork Experience. Stanford: Stanford University Press 2010.

Devereux, Georges. Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften. München: Hanser 1973.

Emerson, Robert; Fretz, Rachel; Shaw, Linda: Writing Ethnographic Fieldnotes. Chicago u. London: University of Chicago Press 1995.

Färber, Alexa: Unternehmerische Dispositionen ethnografischer Praxis und ihre taktische Verwertbarkeit: Sieben Thesen. In: Windmüller, Sonja; Binder, Beate; Hengartner, Thomas (Hg.): Kultur-Forschung – Zum Profil einer volkskundlichen Kulturwissenschaft, Berlin: Lit 2009, 178-194.

Gillespie, Marie: Television, Ethnicity and Cultural Change. London und New York: Routledge 1995.

Hess, Sabine; Schwertl, Maria: Vom „Feld“ zur „Assemblage“? Perspektiven europäisch-ethnologischer Methodenentwicklung – eine Hinleitung. In: Dies. u. Moser, Johannes (Hg.): Europäisch-ethnologisches Forschen. Neue Methoden und Konzepte. Berlin: Reimer Verlag 2013, 13-37.

Hitzler, Ronald; Kreher, Simone; Poferl, Angelika; Schröer, Norbert (Hg.): Old School – New School? Zur Frage der Optimierung ethnographischer Datengenerierung. Essen 2016: Oldib.

Koch, Getraud: Ethnografieren im Internet. In: Bischoff, Christine; Oehme-Jüngling, Karoline; Leimgruber, Walter (Hg.): Methoden der Kulturanthropologie. Bern Haupt 2014, 367-382.

Van Maanen, John. Tales of the Field. On Writing Ethnography (Second Edition). Chicago u. London: University of Chicago Press 2011.

Willis, Paul: Profane Culture. London: Routledge & Kegan Paul 1978.

Zillinger, Martin: Was sind mediale Räume? In: Ders. u. Bender, Cora (Hg.): Handbuch der Medienethnographie. Berlin: Reimer 2015, 173-186.

 

 

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PD Dr. phil. Jochen Bonz
Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie
Leopold Franzens Universität Innsbruck
Tel. 0043 512 507 4436

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